Source : https://hieron-y-mus.de/trends/Wirecard/
(Update: 20.Juni 2020) Am 8. Mai 2018 findet im »Singapore-Office« von Wirecard eine denkwürdige Präsentation statt. Ein Buchprüfer eröffnet den dort versammelten Führungskräften, dass er Hinweise auf Betrugsversuche im Zahlungsverkehr und Geldwäsche gefunden hat.
Das Management nimmt dies zur Kenntnis und verlängert den Beratervertrag. Finanzdienstleister müssen solche Verdachtsfälle auch in Singapore unverzüglich anzeigen. Dies geht wohl in der Hektik des Tagesgeschäfts unter. Im fernen London wird dies aber sehr wohl registriert.
Ikarus-Moment
Wirecard ist zu diesem Zeitpunkt am Zenit seiner Unternehmensentwicklung. Sein kometanhafter Aufstieg begann mit dem Eintritt von Markus Braun, einem erfolgreichen KPMG-Berater, in die Firma im Jahr 2002. Wirecard verleibte sich damals Mitwettbewerber ein und wuchs in den Schmuddelecken für Fintechs: Man übernahm die Zahlungsabwicklung für Online-Wettplätze und der Pornoindustrie. Spötter behaupteten, dass die Gewinnmarge größtenteils aus Geldwäsche stammt. Dieses Makel wurde der Zahlungsdienstleister nie los.
Dem trat das Management in Gestalt ihres charismatischen CEO mit der Vision eines bundesdeutschen Innovationszugpferds im angelsächsisch dominierten Fintech-Markts entgegen. Man kommunizierte das Geschäftsmodell hauptsächlich lokal, setzte auf Netzwerke des Finanzplatzes München und auf Kleinanleger. Keine Gazelle mit Wirtschaftsteil, die nicht ausführlich das Geschäftsmodell der Wirecard erklärt und das Unternehmen für Hobbyinvestoren schmackhaft macht.
Die Strategie wirkte. Wirecard entwickelte sich zu einem Darling für (deutsche) Privatanleger. Der Aktienpreis verdoppelte sich 2017 und nochmals zwischen Januar und August 2018. Ikarus flog – um technische Mängel am Fahrwerk und die Befestigung des Federkleides konnte und wollte man sich nicht kümmern. Im Juni 2018 überflügelte Wirecard an der Börse sogar die Deutsche Bank. Alle sind stolz: Auch Deutschland kann Fintech!
Angelsächsische Intervention und teutonischer Schulterschluß
Am 30. Januar 2019 startet die britische Financial Times seine Attacke. Zunächst online, am Folgetag dann auch in der Print-Ausgabe.
Der Vorwurf: Das Management hat von dubiosen Zahlungsströmena im »Singapore-Office« gewußt und dies toleriert, vielleicht sogar aktiv gefördert. Ikarus fliegt nicht mehr. Der Aktienpreis fällt in mehreren Verkaufswellen innerhalb von zwei Wochen von 165 auf 87 Euro.
In den USA wird Wirecard derweil mit Sammelklagen wegen irreführender oder falscher Angaben zum Sachverhalt konfrontiert. Das Unternehmen ist immerhin im DAX gelistet und damit automatisch in den Portfolien passiver Anleger auf der ganzen Welt enthalten. Wohl auch deshalb springt die Bafin dem Unternehmen am 18. Februar zur Seite: Zum ersten Mal überhaupt wird ein Shortselling-Verbot für eine Einzelaktie verhängt. Zeitgleich eröffnet die Staatsanwaltschaft München ein Ermittlungsverfahren gegen den verantwortlichen Journalisten der Financial Times.
House of Wirecard Series
Die britische Zeitung lässt sich jedoch nicht in die Schranken weisen. Sie legt im März 2019 mit weiteren Enthüllungen nach und belastet den Vorstand Jan Marsalek schwer. Bei Wirecard liegen die Nerven blank. Man weiss sich nur noch mittels einer Unterlassungsklage wegen unrichtiger Darstellung von Geschäftsgeheimnissen zu wehren.
Es läuft sehr gut für die Financial Times. Genüßlich breitet sie die Ermittlungen als House of Wirecard Series online aus. Der Jounalist Dan McCrum, der die Recherchen vorangetrieben hat, wird in die Sparte Investigativer Journalismus befördert.
Es wird April, das Short-Selling-Verbot läuft aus. Die deutsche Finanzwirtschaft steht geeint hinter Wirecard, die angelsächsische Presse und aktivistische Hedge-Funds halten dagegen. Zu guter Letzt erstattet nun auch die Bafin Anzeige. Sie wirft Journalisten und Hedge-Fund Managern Marktmanipulation vor. Dies weist die FT im »House of Wirecard»-Blog umgehend zurück. Auch dieses Verfahren verläuft im Sande.
Softbank steigt ein
Ein seltener Hoffnungsschimmer für leitgeplagte Aktionäre: Am 24. April 2019 verkündet die japanische Softbank, eine Beteiligung von 5,6 % an Wirecard eingegangen zu sein. Genauer: Man kaufte Wandelanleihen, die 2024 zu dieser Beteiligung führen werden, falls der Aktienkurs oberhalb von 130 Euro steht.
Bilanzfälschung
Der Sommer vergeht. Wirecard steht seitens der Financial Times unter permanenter Beobachtung. Im Oktober 2019 folgt die nächste Salve: Das Unternehmen hätte Umsätze und Gewinne zu hoch ausgewiesen, behauptet die Zeitung. Wir sind jetzt beim Vorwurf der Bilanzfälschung angekommen.
Im Dezember 2019 hebt sich der Vorhang zum vorletzten Akt: Die FT bezichtigt Wirecard der Manipulation des Cash-Flows. Gleichzeitig legt die Zeitung Dokumente vor, die beweisen sollen, dass Rami El Obeidi, bis 2011 libyscher Geheimdienstchef und Wirecard Großaktionär, bereits seit 2016 die an der Recherche beteiligten Journalisten und vermutete Informanten beschattet. Das Management von Wirecard hat hiervon natürlich nichts gewußt.
Kriminelle Machenschaften
Noch im Dezember veröffentlicht die FT ein internes Dokument einer Detektei, das beschreibt, wie man preisbestimmende Marktteilnehmer identifiziert und überwacht. Das Dokument ist aus dem Jahr 2016. Es enthält auch Details für einen digitalen Lauschangriff auf die ermittelten Täter. Offenbar wurden über gehackte Mobiltelefone Bewegungsprofile erstellt. Damit wird erstmals strafrechtlich relevantes Material vorgelegt.
Shortseller am Werk
Seitdem steigt die Shortquote der Aktie, also die den Regulierungsbehörden gemeldeten leerverkauften Aktien. Hedge-Funds leihen sich Aktien von institutionellen Investoren aus und verkaufen diese an der Börse. Sie spekulieren darauf, die Titel später zu einem niedrigen Preis zurück zu kaufen und die ausgeliehenen Stücke dann an die ursprünglichen Besitzer zurück geben zu können.
Stühlerücken im Aufsichtsrat.
Im Janaur 2020 übernimmt Thomas Eichelmann den Vorsitz des Aufsichtsrats. Ein neues Gesicht mit einer guten Reputation. Er bekleidete vorher den Posten des CFO der Deutschen Börse. Seine Aufgabe: Retten was zu Retten ist. Die Methode: Vollständige Transparenz.
Das überzeugt viele. Warburg Research hatte beispielsweise noch am 11. Juni 2020 eine Kaufempfehlung für die Aktie abgegeben und ein Kursziel von 230 € innerhalb von 12 Monaten ausgegeben. Die Commerzbank schloss sich dieser Empfehlung mit gleichem Kursziel an.
Im Finanz-Szene-Blog weist Christian Kirchner auf eine Obsession deutscher Fondsmanager zur Wirecard-Aktie hin. Die hohe Gewichtung in aktiv gemanagten Fonds ist sicherlich für den starken Preisverfall im Juni verantwortlich, als nicht nur Privatanleger hektisch verkauften, sondern auch institutionelle Anleger ihre Positionen liquidierten.
Endspiel
Am 19. Juni 2020 verneinen zwei philippinische Banken die Existenz von Konten der Firma. Diese waren in der vorläufigen Bilanz mit guthaben von 1,9 Mrd. € ausgewiesen. Damit ist der Verbleib dieser Summe unklar. Die Wirtschaftsprüfer verweigern ihr Testat und Anleger kalkulieren trocken, dass sämtliche ausgewiesene Erträge der Firma seit 2012 sich in Rauch aufgelöst haben.